
Fazit / Ausblick
Im Rahmen meiner Arbeit zum “Tal der Ahnungslosen” habe ich viele Erkenntnisse aus der historischen Auswertung gewonnen.
Im Folgenden nun meine Ergebnisse sowie ein abschließender Ausblick:
-
Interpretation der historischen Analyse in Bezug auf die Fragestellung sowie ihre Übertragung auf die Gegenwart
-
DDR-Erinnerungskultur im digitalen Kontext der heutigen Zeit
-
Einladung zur Diskussion und Austausch
Das “Tal der Ahnungslosen” war ein durch die Eigenschaften von Fernseh-Sendefrequenzen abgeschnittenes Gebiet, in dem lange Zeit kein westliches Fernsehen empfangen werden konnte. Dies hatte verschiedene Auswirkungen:
Die Menschen in Dresden hatten aufgrund des fehlenden Westempfangs weniger Möglichkeiten, sich ein eigenes Bild von den Verhältnissen in der BRD bzw. in der Welt zu machen. Die DDR-Medien waren zensiert und dienten als Propagandainstrumente des Staates. Informationen wurden verzerrt, weggelassen oder betont, was zu Halbwahrheiten führte. Da dieser Umstand der Bevölkerung bewusst war, nahmen sie wissentlich Abstand von den durch die DDR verbreiteten Informationen (u. a. Fernsehen und Rundfunk).
Aufgrund der eingeschränkten Empfangsmöglichkeiten war ein starkes Verlangen nach westlichem Fernsehen vorhanden - die Begrenzung wurden nicht passiv hingenommen. Dies lag einerseits an der Suche nach Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag (z. B. durch begehrte Musik), um mental dem System des Sozialismus entfliehen zu können. Andererseits ermöglichten Westmedien den Vergleich von Informationen. Das Verlangen war teilweise so stark ausgeprägt, dass man versuchte, mittels Androhung von Gewalt (Sprengungen) Westfernsehen zu erzwingen.
Trotz des widersprüchlichen Titels „Tal der Ahnungslosen“ gab es verschiedene Möglichkeiten, die Funkgrenze zu umgehen. Zu Beginn war der Erfolg maßgeblich von der geografischen Lage abhängig – ein Empfang innerhalb der Innenstadt war unmöglich. Empfang war daher nur im Urlaub außerhalb Dresdens möglich. Mit der Entwicklung der Satellitentechnik änderte sich dies. Nun sorgten vor allem gute Beziehungen bzw. technischer Tüftelgeist für Erfolg, da der Zugang zu Satellitenschüsseln sowie weiterer Empfangstechnik beschränkt war. Rundfunkempfang auf Mittelwelle bzw. Langwelle war jedoch möglich.
Auch wenn der Konsum von „Feindfernsehen“ nicht explizit verboten war, gab es in der DDR sowie in Dresden verschiedene Mittel, um dem entgegenzuwirken. Die Staatssicherheit (MfS) überwachte die Bevölkerung und versuchte, den Konsum möglichst im Keim zu ersticken. Daher war es gesellschaftlicher Konsens, nicht über westliche Sendungen bzw. Informationen zu sprechen. Wenn jedoch bekannt wurde, dass jemand „mental“ in den Westen floh, konnte dies zu Einschränkungen in Schule oder Beruf führen. In extremen Fällen kam es sogar zu Anklagen.
Dennoch waren die Menschen nicht unbedingt ahnungslos. Obwohl der Zugang zu Westmedien in Form des Fernsehens eingeschränkt war, verfügten die Menschen über Informationen aus dem Radio und tauschten sich im Freundeskreis aus. Allerdings war ihr Blick auf den Westen anfänglich etwas verklärt (nach meiner qualitativen Analyse), da es nicht normal war, „den Westen bildlich zu sehen“ – er wurde im Vergleich zum Rest der DDR weniger kritisch hinterfragt.
Wie eingangs erwähnt, besteht eine weitere Forschungsfrage darin, Unterschiede im Medienkonsum zwischen Gebieten mit und ohne Westempfang zu analysieren.
Durch meine Ausarbeitung lassen sich hierzu keine fundierten Aussagen treffen. Während meiner Recherchen habe ich jedoch zwei Studien gefunden, die sich mit dieser quantitativen Auswertung beschäftigt haben und zu folgendem Ergebnis kamen:
„We have found that in the Dresden district, where levels of access to over-the-air West German television broadcasts varied from county to county, exit visa application rates were systematically higher in counties without West German television.“ (Kern/Hainmueller 2009)
Übersetzung:
„Wir haben festgestellt, dass im Bezirk Dresden, in dem der Zugang zu übertragbaren westdeutschen Fernsehsendungen von Bezirk zu Bezirk variierte, die Quote der Ausreiseanträge in den Bezirken ohne westdeutsches Fernsehen systematisch höher war.“
„Die Prüfung der Wirkungshypothesen hat empirisch die bekannte Dysfunktionalität der DDR-Medien belegen können. Aus der Monopolsituation im ‚Tal der Ahnungslosen‘ resultierte keine stärkere Akzeptanz des von den DDR-Medien vermittelten Gesellschaftsbildes, keine bessere Bewertung der DDR-Medien, keine höhere Systemakzeptanz und auch keine Freizeitkultur, die auf die ‚Segnungen des Westens‘ verzichten wollte.“ (Stiehler, 2001)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Menschen in Dresden im Vergleich zum Rest der DDR nicht ahnungsloser in Bezug auf das vorherrschende politische System waren. Vielmehr zeigten sie eine größere Unzufriedenheit mit ihrer Lebenssituation, was sich in der erhöhten Zahl an Ausreiseanträgen im Vergleich zu Gebieten mit Westempfang widerspiegelte.
Spannend ist die Kontroverse, die daraus folgt: "Haben westliche Medien die DDR in ihrem Bestehen unterstützt, indem sie zur Lebenszufriedenheit der Bürger beigetragen haben?" - Lassens Sie uns diese Fragestellung gerne im Forum diskutieren.
Insgesamt hatte also die mediale Grenze um das “Tal der Ahnungslosen” erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerung. Sie führte zu einer eingeschränkten Informationsfreiheit, einem potenziell verklärten Bild des Westens und einer geringeren Zufriedenheit mit der persönlichen Lebenssituation.
Der Versuch der SED, die Menschen in Dresden vollständig von Informationen außerhalb ihrer Kontrolle abzuschneiden, schlug also fehl. Die Bevölkerung in Dresden hatte zwar andere Erfahrungen im Umgang mit Informationen, aber sie war nicht „ahnungslos“.
Fazit
Nach dem Fall der Mauer
Mit der Wende änderte sich auch der Zugang zu Informationen und Medien in Dresden. Als Abschluss der historischen Betrachtung des „Tals der Ahnungslosen“ folgt eine kurze Darstellung der Überwindung des Informationsvakuums seitens der Politik, die bis heute Bestand hat.

(Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Stellungnahme Fernsehempfang S. 1)

(Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Stellungnahme Fernsehempfang S. 2)

(Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Stellungnahme Fernsehempfang S. 1)
Politische Reaktion der Stadt Dresden hinsichtlich der Medien nach dem Mauerfall
Kurz nach dem Mauerfall am 09.11.1989 wurde das nebenstehende Schreiben am 23.11.1989 verfasst. Darin nimmt die Arbeitsgruppe „Medienpolitik“ der Stadt Dresden Stellung zur Entwicklung der Empfangssituation. Grundsätzlich wird deutlich, dass einem Empfang rechtlich nichts mehr entgegengestellt wird – die Überlegungen beziehen sich auf die Ausweitung der Empfangsmöglichkeiten, damit die technischen Einschränkungen des „Tals der Ahnungslosen“ überwunden werden können.
Der abschließende Satz des Dokuments untermauert nochmals den Wandel der Medienpolitik in Dresden:
”[…] bewirkt wird, eine kurzfristige zentrale Lösung in Angriff zu nehmen, um das ‚Tal der Ahnungslosen‘ in ein Tal der allseitig informierten Bürger zu verwandeln.”
Gesetzliche Absicherung
Das nebenstehende Dokument ist ein Gesetzesentwurf für ein allgemein gültiges neues Mediengesetz. Dieses wurde am 17.05.1990 auch in einer Beratung in Dresden besprochen. In Abs. 1 heißt es:
“Jeder Bürger hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich um Informationen und Ideen aller Art ungeachtet der Grenzen mündlich, schriftlich oder gedruckt, in Form von Kunstwerken oder durch jedes andere Mittel seiner Wahl zu bemühen, diese zu empfangen und mitzuteilen.”
Nach der Verabschiedung des Gesetzes waren somit auch die politischen Faktoren, die zum „Tal der Ahnungslosen“ führten, überwunden.

(Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Beratung über neues Mediengesetz, 17.04.1990 )

(Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Beratung über neues Mediengesetz, 17.04.1990 )

(Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Beratung über neues Mediengesetz, 17.04.1990 )
Gegenwartsbezug
Grundlegend muss man vorsichtig sein, historisch gewonnene Erkenntnisse eins zu eins auf die Gegenwart zu projizieren. Dennoch können historische Analysen und Entwicklungen mit dem "hier und jetzt" verglichen werden, um Thesen und potenzielle Tendenzen zu erforschen.
Bei der Themenfindung und Entwicklung der historischen Fragestellung, hat mir die Projektanleitung der Körber-Stiftung eine interessante Perspektive gegeben: "Eine historische Fragestellung hat ihren Ausgangspunkt in der Gegenwart". Der Kontext des Zitates bezieht sich zwar auf die Motivation zur historischen Untersuchung, jedoch eröffnete die Formulierung der Gegenwart hochinteressantes Themenfeld zu unserer heutigen Mediennutzung:
"Kann es nochmal zu einem Tal der Ahnungslosen kommen - diesmal digital"?

Hier eine kurze Beschreibung meines Gedankengangs - algorithmenbasierte Personalisierungen von Medieninhalten schaffen individuelle Filterblasen, die den Nutzer einem begrenzten Informationsspektrum aussetzen und somit die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven mindern.
Diese Entwicklung kann sehr stark bei der Beschränkung auf nur einen Informationskanal (z.B. Konsum von Nachrichten nur über Tik Tok) auftreten.
Somit lässt sich von einer potenziellen neuen, unbewussten "Ahnungslosigkeit“ sprechen, ähnlich derer, die im historischen 'Tal der Ahnungslosen' durch den geografisch bedingten, eingeschränkten Fernsehempfang entstand. Heute nur mit dem Unterschied, dass die „Täler“ in digitaler Form durch Algorithmen erschaffen werden".
Eine wissenschaftliche Betrachtung dieser Fragestellung (z.B. nach Unterschieden im Umgang zwischen damals und heute) ist erneut von quantitativer Natur, weshalb aus Schülerperspektive die benötigten Ressourcen nicht vorhanden sind. Zudem verlässt diese Fragestellung den ursprünglichen historischen Ansatz.
Dennoch lade ich Sie herzlich ein, in der Kommentarsektion Ihre Meinung zu teilen.
Erinnerungskultur
Erinnerungskultur meint den Umgang mit historischen Ereignissen durch die Gesellschaft. Dabei kann sie in verschiedensten Formen auftreten (z.B. Ausstellungen oder Denkmäler). Ich habe mich jedoch für eine Digitale Form entschieden.
Im folgenden stelle ich kurz dar, was meine Webseite hinsichtlich der Erinnerungskultur bedeutet.
Digitaler Ansatz
Seit Formulierung meiner Forschungsfrage, hatte ich vor, meine Ausarbeitung digital darzustellen. Mich haben die vielfältigen Möglichkeit der Kombination aus Audio-, Video-, und Grafikquellen überzeugt, welche einen interessanten und lebendigen Einblick in die Vergangenheit geben.
In den heutigen Zeiten der Dominanz von digitalen Medien ist es logisch, auch die Erinnerungskultur auf diese Art zu transformieren. Es ist wichtig, dass sich die gesamte Gesellschaft an ihre Historie erinnert und dabei verwahrt wird. Um diesen Ansatz zu leisten, muss man die Schwelle zum Benutzen von historischen Ausarbeitungen senken - so kann mann z.B. diese Webseite einfach teilen - somit können definitiv mehr Leute erreicht werden als mit statischen Ansätzen.
"Citizen Scienceship"
Citizien Science beschreibt die Forschungen von Personen, die dies Privat und als Hobby betreiben. So ist auch mein Projekt veranlagt. (Q1)
In meiner Webseite habe ich den Begriff zu "Citizien Community Science" erweitert. Ich möchte auf Grund der lokalen Verortung des "Tals der Ahnungslosen" betroffenen aus Dresden die Möglichkeit geben, Ihre Geschichte zu teilen - die Erinnerung sollen erhalten bleiben und dies nicht nur bei den Betroffenen. So zu sagen - "von Bürgern für Bürger"
Dafür gibt es hier eine eigene Forumsfunktion.
Ein Austausch und die Darstellung der Erfahrungen der Betroffenen ist dabei natürlich sehr wichtig, aber es können auch Fragen und Meinungen durch nicht beteiligte Personen geteilt werden. Somit können durch die technischen Möglichkeiten Menschen in Kontakt treten, was sonst vermutlich nie passiert wäre.
Nochmals eine herzliche Einladung, Ihre Sicht zu teilen (anonym möglich).
Quellen:
Bilder / Dokumente:
-
SLUB/Deutsche Fotothek, Ahlers, Henrik: Meißen, Teichstraße 1. Wohnhaus
-
Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Stellungnahme Fernsehempfang
-
Stadtarchiv Dresden, 4.2.5 Unterlagen d. zentralen Arbeitsgruppe „Kommunikation - Information - Medien” der StVV Dresden, Beratung über neues Mediengesetz, 17.04.1990
Literatur:
-
Kern, Holger Lutz/Jens Hainmueller (2009): Opium for the Masses: How Foreign Media Can Stabilize Authoritarian Regimes, in: Political Analysis, Bd. 17, Nr. 4, S. 377–399
-
Stiehler, Hans-Jörg (2001): Leben ohne Westfernsehen: Studien zur Medienwirkung und Mediennutzung in der Region Dresden in den 80er Jahren, Leipziger Universitätsverlag
-
Erinnerungskultur digital : Herausforderungen und Chancen für die historische und politische Bildung (2024): Sächsische Landeszentrale für politische Bildung