Wäre der Dresdner Fernsehturm fast gesprengt worden?​
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Am 09.07.1984 wurde an den Staatsrat der DDR eine unmissverständliche Drohung gesendet: Innerhalb von vier Monaten sollte in Dresden der störungsfreie Empfang des Westfernsehens ermöglicht werden – andernfalls drohten Sprengstoffanschläge. Die "Gruppe Volkszorn" kündigte als erstes Ziel den Dresdner Fernsehturm (oben zu sehen) an, sollte die Forderung nicht erfüllt werden. (Q1)
Im Folgenden sind die originalen Ermittlungsakten des MfS zu finden - zur Vergrößerung einfach anklicken.​​​
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1 - Der erste Drohbrief

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)
"Aus kochendem Untergrund in Dresden
Forderungen, denen
keiner ausweichen kann
BRD Rundfunk-
und Fernsehprogramm
Wir drohen mit Gewalt
Einsatz einer Arbeitsgruppe
Bereit zum sprengen
des FS und UKW - Turm Dresden/Wachwitz
UKW - Sender Löbau
Forderungen überbracht
in die Tat umsetzen
bis 6.11.1984"
Die "Gruppe Volkszorn" stellte ihr Ultimatum direkt an den Staatsrat der DDR. Doch bevor das Schreiben sein Ziel erreichte, wurde es durch die Stasi im Rahmen der obligatorischen Postkontrolle abgefangen. Aufgrund der Ernsthaftigkeit der Drohung übernahm die Abteilung XXII (Terrorabwehr) unter Anweisung von Gerhard Neiber, Stellvertretender Minister für Staatssicherheit, die Ermittlungen.
Die Gruppe verwendete für ihre Botschaft zusammengepuzzelte Zeitungsartikel. Doch kriminaltechnische Untersuchungen ergaben, dass Papier, Umschlag und Klebstoff aus handelsüblicher DDR-Produktion stammten – keine besonderen Merkmale, die zur Identifikation der Täter führten. (Q1)
2 - Die Ermittlungen beginnen

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)
Eingeleitete Maßnahmen:​
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Sicherung der bedrohten Objekte
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Einleitung von Fahndungsmaßnahmen in Abteilung XX und M
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Organisierung des Zusammenwirkens mit der DVP [Polizei]
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Gewährleistung des IM/GMS-Einsatzes [inoffizielle Mitarbeiter]
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Herausarbeitung von Verdachtsrichtungen
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Kriminaltechnische Untersuchungen
Die "Gruppe Volkszorn" stellte ihr Ultimatum direkt an den Staatsrat der DDR. Doch bevor das Schreiben sein Ziel erreichte, wurde es durch die Stasi im Rahmen der obligatorischen Postkontrolle abgefangen. Aufgrund der Ernsthaftigkeit der Drohung übernahm die Abteilung XXII (Terrorabwehr) unter Anweisung von Gerhard Neiber, Stellvertretender Minister für Staatssicherheit, die Ermittlungen in Form eines Operativen Vorgangs. (Q1)
3 - Der zweite Brief

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)
"LETZTE WARNUNG
WIR FORDERTEN IM JUNI
VOM STAATSRAT
3 WESTPROGRAMME
FRIST IST UM
WIR ERWEITERN DIE OBJEKTE
LISTE AUF
INTERSHOP, LENINDENKMAL
HOTEL BELEVUE
POSTÄMTER USW.
BIS 20.12.84"
SPRENGEN IST LEICHT DENN
TECHNIK IST EMPFINDLICH, WIE
IHR.
GRUPPE VOLKSZORN"
Als die gesetzte Frist ohne Änderungen am Fernsehempfang verstrich, verschärfte die "Gruppe Volkszorn" ihre Drohung. Dieses Mal richtete sich das Schreiben an den Fernsehfunk in Berlin-Adlershof. Zudem wurden neue potenzielle Anschlagsziele genannt: Intershops, Postämter, das Lenindenkmal und das Hotel Bellevue in Dresden. (Q1)
4 - Ergebnisse der Ermittlungen

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)

(BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87)
Die Stasi ging mit voller Härte gegen mögliche Verdächtige vor:
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Rasterfahndung: Verdächtigt wurden Personen, die sich über Westfernsehen äußerten oder sich in Antennengemeinschaften engagierten.
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Technische Analysen: Papier, Klebstoff, Schriftzüge, Satzbau wurden auf mögliche Rückschlüsse überprüft.
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Beobachtung und Überwachung: Wohnungen wurden durchsucht (u.a. Verdacht, auf Zugehörigkeit mit Antennenanlagen), Post kontrolliert, Telefone abgehört und Inoffizielle Mitarbeiter befragt.
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Trotz massiver Überwachungsmaßnahmen und Überprüfung von 1.800 Personen konnte die Staatssicherheit keine Verdächtigen überführen, alle Fährten führten in eine Sackgasse. Die Fahndung wurde 1987 ergebnislos eingestellt. (Q1)
Fazit​
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Es lässt sich nicht feststellen, ob ernsthaft ein Sprengstoffanschlag in Erwägung gezogen wurde oder die Briefe "leere Drohungen" waren. Auch lässt sich nicht ableiten, ob nur eine einzelne Person oder doch eine Gruppe der Bevölkerung Gewalt als Mittel zum Durchbrechen des Informationsvakuums betrachtete.
Dennoch spiegelt die Gruppe Volkszorn deutlich wider, dass es in den 80er Jahren eine Unzufriedenheit gegenüber dem fehlenden Empfang in Dresden bestand. Und das Verlangen nach Informationsfreiheit bestand.
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Auch findet sich eine Deutliche Antwort hinsichtlich der These: Musste man Repressionen erwarten, wenn man den Willen zeigte, westliche Medien zu konsumieren - gab es einen Unterschied zum Rest der DDR"
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Natürlich führen in den meisten Systemen bei der Androhung von Sprengstoffanschlägen Ermittlungen mit sich. Wie die Dokumente jedoch belege, wird durch den OV Turm ein Verfahren eingeleitet, welches in keiner Relation zu dem Ergebnis steht aus der Primären Ermittlung (Erpresserbrief) steht.
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Die gescheiterte Suche nach den Tätern zeigt, dass selbst die mächtige Stasi an ihre Grenzen stoßen konnte. Die Rollen waren umgekehrt, die übergriffige Stasi hatte nun selbst Angst vor einem Übergriff.
Der Wunsch nach freiem Zugang zu Informationen ließ sich nicht unterdrücken – auch nicht durch Repressionen und umfassende Überwachung.​ ​
Quellen:
Bilder / Dokumente:​
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BArch, MfS, BV, Dresden, AOP, Nr, 3189/87
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SLUB/Deutsche Fotothek, Reinecke, Hans: Oberwachwitzer Weg, 1979, Dresden-Wachwitz, Fernsehturm